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Neurointersexualität - Der Feuersteinhang

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Der Feuersteinhang

geschrieben von Dr. med. univ. Dr. phil. Claudia Haupt, 17. Sept. 2017

„Warum tut Ihr Euch das an, lasst Euren gesunden Körper zerschneiden? Der Körper ist doch gesund, oder?“ Transsexuelle Menschen ernten seitens von „Nicht-Betroffenen“ massives Unverständnis. Wenn die Hemmschwelle „Ich darf nicht diskriminieren“ ausser Acht gelassen wird, taucht schnell die Frage auf „Warum diese Verstümmelungen eines gesunden Körpers?”  “Wird hier, weil die Ärzte nicht mehr weiterwissen und die Betroffenen in ihrer wahnhaften Verblendung unermüdlich ‘drängen’, Psychochirurgie betrieben”?

Was ich in den letzten Wochen lernen durfte: Bei solchen Fragen ist nicht immer Häme und Transphobie im Spiel. Es gibt auch die Variante, dass Leute es einfach nicht wissen, aber im Kern positiv eingestellt sind und sich ehrlich bemühen zu verstehen. Ich weiss mittlerweile: Wenn wir es nicht transparent machen, was mit uns ist, wird es auch niemand erfahren.
 
Denn: Der Vorgang/Mechanismus/die Zusammenhänge sind leicht verstehbar, wenn entsprechende Informationen angeboten werden. Transsexualität ist kein Buch mit 7 Siegeln.  

Für Betroffene  (wie mich) sind die geschlechtsangleichenden Operationen der persönliche „Feuersteinhang“. Einer meiner Lieblingsschriftsteller, Mikhaïl Naimy, hat das schöne Bild vom „Feuersteinhang“ gefunden und in seinem „Buch des Mirdat“ aufgeschrieben (so nebenbei: „Das Buch des Mirdat“ ist für mich eine tolle Inspirationsquelle, ähnlich wie die Bibel oder das Tao Te King).
 
Im Buch des Mirdat beschliesst ein Mensch, einen Berg zu erklimmen, bezüglich dessen er die Gewissheit hat, dass dort auf seinem Gipfel auf ihn das Heilige wartet, das ihn entscheidend weiterbringen wird. „Ich gebe zu, dass mir diese Geschichte meine Ruhe raubte … Sie quälte meine Augen; sie brachte meine Gedanken durcheinander; sie geisselte mein Blut; sie stachelte mein Fleisch und Bein auf“.

Er entscheidet sich für den gefährlichsten Weg, von dem ihm alle abrieten. Seine innere absolute Heilsgewissheit bringt ihn dazu genau diesen Weg zu gehen.

Der gefährlichste Weg führt über Feuersteinhang. Diesen Weg hatte noch kein Mensch erfolgreich bewältigt, keiner, der diesen Weg gegangen war, kam bisher zurück. Sein Berater fleht ihn an: „Der Feuersteinhang? Niemals solltest Du so töricht sein, dein Leben so billig zu verkaufen. Viele haben es vor Dir versucht, aber keiner ist je zurückgekehrt, um darüber berichten zu können. Der Feuersteinhang? Niemals, niemals!“

Er geht diesen Weg. Der Weg ist gespickt mit grausamen Prüfungen: „ Bald stellte ich fest, dass mich meine Füsse allein keine grosse Strecke voranbringen konnten, denn die Feuersteine glitten einfach unter ihnen hinweg und erzeugten einen furchterregenden Ton, als ob eine Millionen Kehlen gegen den Würgetod ankämpfen würden. Um voranzukommen, musste ich meine Hände und meine Knie, ebenso auch eine Zehen in die bweglichen Feuersteine hineingraben. Wie wünschte ich da, so beweglich wie eine Bergziege zu sein!“

Jede SRS-Operation bei Suporn, zumal kombiniert mit Brustaufbau, ist ein Martyrium. Heilung erfolgt am besten, wenn die Dilatation (mit einem Dilatator, also einem „Spreizer“) richtig weh tut. Es wird ja eine grosse Wunde gegraben und als Vulva/Vagina plastisch-chirurgisch perfekt dargestellt. Aber sie ist gegen alle schlimmen und heftigen Tendenzen zur Vernarbung und damit zum Verschliessen der Vagina offen zu halten – indem mindestens dreimal am Tag massiv ausgeweitet/gespreizt wird, mit Power. Und das tut richtig weh. Und das für Monate. Nerven werden wie wild zusammenwachsen und zusätzlich unangenehme Empfindungen erzeugen. Man kann also mit Fug und recht sagen, die SRS-OP ist ein Gang über den Feuersteinhang. Heftiges und Grausames erwartet die Operierten. Natürlich kann man das schön reden, aber der Preis ist hoch. Als Ergebnis resultiert eine voll funktionsfähige Vulva/Vagina. Empfindsam, absolut echt aussehend und ausreichend tief; keine Trockenheit, sondern gleitfähige und sich reinigende Vaginalwände. Funktional perfekt.

Heilung und geschlechtliche Kongruenz

Woher kommt aber der Durchhaltewille derlei zu ertragen und durchzustehen. Was setzt transsexuelle Menschen in die Lage, diesen Feuersteinhang zu bewältigen?  

Eine gute Erklärung bietet die Neurowissenschaft an.  

Ich vereinfache jetzt etwas (ohne zu fälschen). Der Neurobiologe Gerald Hüther hat in seinen Arbeiten sehr schön herausgearbeitet, dass Embodimentprozesse meist an einer leiblichen Zerspiltterung ansetzen, diese quasi „reparieren“. Das können psychosomatische Zersplitterungen durch seelische Verletzungen sein (sog. Dissoziationen, psychisches Phänomen) , die quasi durch einen therapeutischen Einverleibungsprozess integriert und wieder heil zusammengefügt werden.
 
Dieses Hüther-Modell kann man auf Transsexualität übertragen: Es kann sich auch um eine Zersplitterung durch geschlechtliche Körperdiskrepanzen handeln, die über eine Einverleibung des Hirngeschlechts in den Restkörper den Leib heil macht sprich „heilt“, damit dann alles geschlechtlich kongruent zusammenpasst. Durch die plastisch-chirurgisch erzeugte Neovagina wird dem Nervensystem das kongruente genitale Geschlechtsorgan gegeben/zur Verfügung gestellt, damit wird die vorherige geschlechtliche Zersplitterung (körperliche Dissoziation in weibliches Nervensystem/Penis-Hoden) leibkörperlich gekittet und geheilt.
 
Hüther hat darauf aufmerksam gemacht, dass derartige Heilungsprozesse durch Embodiment die Freisetzung gewaltiger Kräfte erfordern und auch ermöglichen. Und tatsächlich: Mit grosser Ausdauer bringt der Leibkörper inklusive Nervensystem auch die Kraft auf zu heilen und eine Brücke herzustellen. Ähnlich wie bei Vernarbungen von Wunden werden gewaltige Kräfte frei, die bei der Heilung eine wesentliche Rolle spielen. Ähnlich wie die heilende Neovagina gewaltige Kräfte freisetzt, denen durch dynamisches Dilatieren stand zu halten ist, gegen die mit enormer Kraft und Ausdauer förmlich angekämpft werden muss (damit die Neovagina nicht wieder zuwächst), braucht es auch bei der Heilung des Leibes gewaltiger Kräfte, damit ein weiblicher/männlicher Leibkörper schliesslich embodied wird. Der Leib hat diese Kräfte potenziell zur Verfügung und daher bringen wir auch die leibliche Geschlechtskongruenz letztlich zusammen. In der Regel „schaffen wir das“ bzw. der Leib zu heilen. Embodimentprozesse sind sehr dynamisch. Der Leib greift die Gelegenheit beim Schopf sich geschlechtlich als Einheit herzustellen, sich zu einem stimmigen Ganzen zu rekonstruieren/rekonstituieren. Über die erforderlichen Kräfte verfügt er ja. Das erklärt die Power und Ausdauer transsexueller Menschen in Transitionsprozessen. Es ist kein Ausdruck perverser Fehlhaltung im Sinne einer ausgeprägten, schweren Manie, sondern ein ganz natürlich zu erklärender Prozess. Es handelt sich hier um die leibliche Heilungskraft, mit der die geschlechtsleibliche Zersplitterung überwunden wird, quasi zuwächst. Über die plastisch-chirurgische Neovagina entsteht ein strapazierfähiger, in sich runder und geschlechtlich stimmiger weiblicher Geschlechtsleib. Bei einer glückenden Transition schwinden die seelischen Narben – mit voller Kraft und Ausdauer. Nach einem Jahr ist es meist überstanden.
 
Liebe Grüsse
Claudia

 

Quelle: Webseite des VTSM

News

 

12.04.24: Erweiterung der Inhalte zur körperlichen Transition

Wir haben uns nun die Mühe gemacht und den Bereich der körperlichen Transition um die Hormonbehandlung erweitert.

 

25.01.23: Neue Grafiken... / New graphics...


...sind nun online. Zu sehen hier und hier.


...are online now. See here and here.

 

24.09.23: Filme und NIBD-Stammtisch

Jetzt bieten wir auch die Möglichkeit, sich gute Filme bei uns zum Thema NIBD anschauen zu können. Hier. Viel Spaß beim gucken und Popkorn futtern. wink

Eine Userin war so freundlich und hat für uns via Zoom einen virtuellen NIBD-Stammtisch aufgebaut. So können wir locker flockig miteinander plauschen und uns dabei sehen. Die Zugangsdaten gibt es nur für registrierte User denen wir vertrauen können.

 

21.07.23: Chat

Nachdem ich heute den ganzen Tag gebastelt habe, steht nun unser eigener Chat. Immer hereinspaziert in die gute Stube. Kaffee und Kuchen stehen bereit. Hier entlang.

 

18.07.23: Zertifikat

Seit heute den 18.07.23 ist unsere Webseite mit einem SSL-Zertifikat versehen. Das berühmte "Schloß" ist nun nicht mehr durchgestrichen.


Neurointersexualität / Neurointersexuelle Körperdiskrepanz (NIBD)
Eine Zusatz-Bezeichnung, die gerne von manchen originär transsexuellen Menschen benutzt wird, um sich von der inflationären Benutzung des Begriffes "Transsexualität", welche durch die genderorientierte Trans*-Community, aber auch durch die Medien getätigt wird, abzugrenzen. NIBD-Betroffene wollen einfach nicht mit anderen Phänomenlagen, die entweder nur ein Lifestyle, Rollenproblem oder sexueller Fetisch sind, verwechselt und/oder in einen Topf geworfen werden. Die Bezeichnung NIBD bezieht sich auf die wissenschaftliche Arbeit von Dr. Haupt.

 


Neurointersexuality / Neurointersexual Body Discrepancy (NIBD)
An additional term which is often used by originally transsexual people to differentiate themselves from the inflationary use of the term "transsexuality" by the gender-oriented trans* community, but also by the media. NIBD patients simply do not want to be confused and/or lumped together with other phenomena that are either just a lifestyle, role problem or sexual fetish. The term NIBD refers to the scientific work of Dr. Haupt.

 

 

 

 


Transgender - Transidentität
Transgender hadern hauptsächlich mit der sozialen Geschlechterrolle (gender), die ihnen seitens der Gesellschaft und kulturellen Konventionen aufgedrückt wird. Einen körperlichen Leidensdruck, wie ihn originär transsexuelle Menschen (NIBD) verspüren, ist bei ihnen nicht gegeben. Gerne und immer wieder wird, auch von Fachleuten, Transgenderismus mit originärer Transsexualität verwechselt.
Transidente hadern mit ihrer Identität als Mann oder Frau. Dieses Problem ist rein psychisch bedingt, einen körperlichen Leidensdruck, wie ihn originär transsexuelle Menschen (NIBD) verspüren, ist bei ihnen ebenfalls nicht gegeben. Auch hier wird das Phänomen gerne mit originärer Transsexualität verwechselt.

 


Transgender - Transidentity
Transgender people mainly struggle with the social gender role (gender) that is imposed on them by society and cultural conventions. They do not experience the kind of physical distress felt by originally transsexual people (NIBD). Transgenderism is often and repeatedly confused with original transsexuality, even by experts.
Transident people struggle with their identity as a man or a woman. This problem is purely psychological; they do not experience the kind of physical suffering that original transsexual people (NIBD) do. Here too, the phenomenon is often confused with original transsexuality.

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