Eine Aufklärung für Betroffene und die Öffentlichkeit
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Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Es wird als Fortschritt gefeiert und klingt nach Freiheit – doch wer genau hinschaut, erkennt eine fatale Rückabwicklung für originär transsexuelle Menschen mit medizinischer Diagnose, Gutachten und operativem Weg. Es degradiert die Realität transsexueller Menschen, deren körperliches Geschlecht vom neurologischen (also im Gehirn verankerten) Geschlecht abweicht. Diese Diskrepanz ist nicht wählbar. Sie ist angeboren – und sie bestimmt das Leben eines Betroffenen in jeder Hinsicht.
🧠 Transsexualität ist keine „Identitätsfrage“
Der Begriff „Selbstbestimmung“ wird im Gesetz irreführend verwendet:
Transsexualität ist keine Wahl. Sie ist keine tiefgreifende Identitätsstörung, sondern eine biologische Besonderheit, bei der das Gehirn – und nur das Gehirn – vorgibt, welches Geschlecht es sehen will. Die Hebamme bestimmt bei der Geburt anhand des sichtbaren Genitals den ersten Geschlechtseintrag – macht damit aber unter Umständen eine Aussage, die dem biologischen Gehirnsexus widerspricht. Mittleweise gibt es einige Studien, die starke Indizien dafür haben, daß der Hirnsexus einer transsexuellen Frau bereits vor der Hormonbehandlung mit Östrogen weiblich ist, da viele Stellen im Gehirn gefunden wurden, die der einer Cisfrau entsprechen.
🧾 Was hat sich geändert?
Früher galt das Transsexuellengesetz (TSG), das zwar umständlich war, aber:
✔️ Es erkannte das juristische Geschlecht an – das Geschlecht, unter dem man rechtlich geführt wurde,
✔️ Es änderte dieses juristische Geschlecht dauerhaft,
✔️ Es gewährte Schutz vor Outing und Diskriminierung.
Mit dem SBGG verschwindet dieser Schutz – still und heimlich. Der Fokus liegt nur noch auf dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister, der nun nichts mehr mit dem juristischen Geschlecht zu tun hat und zudem völlig wertlos geworden ist.
🔐 Der Geschlechtseintrag ist juristisch wertlos
Der „Geschlechtseintrag“, wie ihn das SBGG nennt, ist nicht identisch mit dem juristischen Geschlecht. Er hat keine rechtliche Schutzwirkung. Er kann ignoriert werden, wenn z. B. Sportverbände, Vermieter, Frauenhäuser, Elternformulare oder medizinische Einrichtungen das ursprüngliche (ursprünglich zugewiesene) Geschlecht heranziehen möchten – das ist jetzt gesetzlich legitimiert.
Was das SBGG wirklich tut
Das Gesetz erlaubt allen Menschen ohne medizinische Prüfung oder Gutachten, ihren Geschlechtseintrag zu ändern – durch eine einfache Erklärung beim Standesamt. Damit wird Transsexualität nicht mehr als spezifische, belegbare Lebensrealität anerkannt, sondern in eine freie Wahlhandlung verwandelt.
Das Ergebnis: Gleichmacherei statt Gerechtigkeit
- Betroffene mit ausführlicher Begutachtung, Therapie und OPs werden gleichgestellt mit Personen, die einfach eine Erklärung abgeben.
- Die geschlechtliche Zuweisung durch die Hebamme – basierend auf äußeren Geschlechtsmerkmalen – bekommt wieder Relevanz in Recht und Gesellschaft.
- Die juristische Anerkennung als Mann oder Frau wird durch Art. 1 § 15 Abs. 2 SBGG nachträglich rückabgewickelt, da sich die Wirkung ab dem 1.11.2024 automatisch auf alle früheren TSG-Fälle erstreckt.
- Wichtige Lebensbereiche wie Hausrecht, Medizin, Sport, Quoten und Elternschaft dürfen wieder auf Basis der "Hebammenaussage" statt juristischer Anerkennung durch den TSG-Gerichtsbeschluß geregelt werden. Letzteres wurde durch das SBGG jedoch ausgehöhlt, weshalb die "Hebammenaussage" gesetzlich legitimiert werden konnte.
⚠️ Die Falle: Art. 1 § 15 Abs. 2 SBGG
Hier liegt der Haken:
Die §§ 6 bis 13 SBGG gelten rückwirkend auch für alle TSG-Fälle.
Das bedeutet:
- TSG-Absolventen verlieren ihr juristisches Geschlecht,
- Auch wenn im Pass weiterhin „männlich“ steht, gelten für sie nun wieder die Regeln für Frauen und umgekehrt,
- Der juristische Status als Frau (bzw. Mann) wird nicht mehr rechtlich anerkannt,
- Einrichtungen wie Frauenhäuser, Vermieter oder Saunen dürfen das Hausrecht geltend machen und Ausschlüsse rechtlich absichern,
- Es zählt nicht mehr, was im Personenstandsregister steht – das „juristische Geschlecht“ bleibt nach ursprünglicher Hebammen-Aussage bestehen.
- Schutzrechte aus dem TSG entfallen rückwirkend – still und leise.
Kurz: Du kannst rausgeworfen werden und dadurch geoutet werden – was früher rechtlich untersagt war, ist jetzt möglich.
Die perfide Tücke im Detail
Artikel 1 §§ 6–13 SBGG enthalten zahlreiche Einschränkungen, die sich zwar nicht sofort, aber bei genauer Analyse als Wiedereinführung alter Diskriminierungslogik entpuppen. Dort steht schwarz auf weiß, dass der Geschlechtseintrag nicht mehr automatisch alle rechtlichen Folgen auslöst. Stattdessen kann wieder unterschieden werden zwischen dem, was die Hebamme damals aufgeschrieben hat – und dem, was heute im Register steht.
Was bedeutet das konkret und in der Praxis?
Wenn du z. B. eine post-OP-TS-Frau bist, also eine vollständige operative Angleichung vollzogen hast und nach TSG männlich zu weiblich gewechselt bist, wirst du ab dem 1.11.2024 rechtlich wieder als Mann behandelt, wenn dich jemand „nach deinem rechtlichen Geschlecht“ fragt. Es zählt nicht mehr, was in deinem Ausweis steht, sondern welches Geschlecht dir bei der Geburt von der Hebamme zugewiesen wurde. Und das, obwohl du vielleicht operativ angepasst bist und seit Jahrzehnten unter einem anderen juristischen Geschlecht gelebt hast. Gemäß SBGG-Anwendung wird dein ursprünglich eingetragenes juristisches Geschlecht gar nicht mehr geändert und die Korrektur nach TSG nicht rückwirkend anerkannt.
Auch für TS-Männer, die bereits vollzogen haben: Die ursprüngliche Hebammenaussage (weiblich) bleibt nun wieder bestimmend – unabhängig von Vornamen, Geschlechtseintrag oder OP-Status.
📛 AGG? Nützt nichts.
Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist nur das „Geschlecht“ geschützt – nicht aber der „Geschlechtseintrag“.
Das bedeutet: Wirst du wegen deines Geschlechtseintrags diskriminiert, kannst du dich nicht auf das AGG berufen.
🧩 Und was ist mit Artikel 4?
Achtung, hier wird’s tricky:
- Artikel 4 des SBGG-Gesetzespakets ändert das Personenstandsgesetz (PStG).
- Dieser Artikel 4 gehört zum Gesamtpaket des Bundesgesetzblatts (BGBl. 2024 I Nr. 206).
- In diesem Artikel werden unter anderem § 27 Abs. 3 PStG und § 45b PStG angepasst – ebenfalls mit Folgen für die Rückwirkung und Registrierung.
📣 Fazit – Was du wissen musst
- Der juristische Geschlechtseintrag nach TSG ist durch Art. 1 § 15 Abs. 2 SBGG rückabgewickelt worden und entwertet dadurch deine durch das TSG erlangte Rechtsstellung.
- Der Geschlechtseintrag im Standesamt ersetzt nicht das juristische Geschlecht.
- Du bist rechtlich wieder das, was die Hebamme bei deiner Geburt sagte - unabhängig von medizinischen Fakten.
- Selbst vollständige operative Angleichung und jahrzehntelanges Leben im durch das TSG korrigiertem juristischem Geschlecht schützt dich nicht mehr.
- Outing, Ausschluss, Diskriminierung – alles ist wieder möglich. Und diesmal ganz legal.
- Ein Schutz, wie ihn das TSG bot, existiert nicht mehr.
Dieses Gesetz ist kein Fortschritt – es ist eine versteckte Rückabwicklung. Es löscht die Lebensrealität von originär transsexuellen Menschen aus, die nicht „fühlen“, sondern sind – mit angeborenem, neurologisch belegbarem Gegengeschlecht zum sichtbaren Körper. Der Gesetzgeber erkennt sie nicht mehr als das, was sie sind: Menschen mit einer dauerhaft transponierten Geschlechtlichkeit.
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