Transsexualität-NIBD

Autor Thema: Ist der sog "Standardweg" zur Geschlechtsangleichung wirklich der "Standardweg"?  (Gelesen 1868 mal)

Gert-in-trans

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Liebe Mitglieder und Besucher,
Immer wieder wird von verschiedenen Seiten im Internet den Leuten "eingehämmert", dass nur folgender "Standardweg" geht?
1. 1 Jahr vorgezogener Alltagstest,
2. Hormontherapie,
3. Vornamensänderung oder GOAP mit Personenstandsänderung.
Warum habe ich da ganz konkret andere Erfahrungen gemacht?
- Bei mir wurde weder ein sog. "Haartest" vorgenommen, der angeblich Schizophrenie ausschließen soll, noch musste irgendein Arzt oder Psychologe einen Antrag bei der Krankenkasse oder dem MdK auf Beginn der Behandlung stellen!
- Beide (Arzt und Psychologe) sagten mir, dass der Beginn der medizinischen Behandlung allein Entscheidungssache des Arztes ist und wenn dieser das "Krankheitsbild" Transsexualität feststellt und die Behandlung für medizinisch notwendig hält, geht es ganz einfach los und Punkt. Auch ist ein vorgezogener Alltagstest nicht zwingend erforderlich, wenn dieser eine psychische Härte für den Patienten darstellt und der Arzt auch ansonsten von der Krankheit überzeugt ist.
Bei mir war es jedenfalls so! Nach zwei Arzt- und einer Psycho-Konsultation bekam ich nach 2 Monaten die Hormone auf Kassenrezept verschrieben und bis heute (7 Monate her) hat weder meine Krankenkasse noch der MdK bei mir angefragt!
- Auch stimmt es nicht, dass die HT Voraussetzung für die Vornamensänderung ist. Diese kann bei psychologischer Einschätzung auch ohne Hormongabe erfolgen.
Ich bin aber auch ganz "unbedarft" und "uninformiert" losgegangen und habe ganz einfach offen und ehrlich dem Arzt und Psychologen meine Probleme erzählt...
Also, mein Rat: Seid "authentisch", ehrlich und offen, dann ist vieles möglich, denn, es zählt immer der jeweilige "Einzelfall"! Wie bei einer "Grippe" - der eine braucht nur "Nasentropfen", der andere "Antibiotika" - auch entscheidet allein der Arzt.

Viele Grüße und die besten Wünsche für Euren Weg
von Eurer Gerti.

P.S.: Deshalb halte ich auch die "Proteste" gegen die Einstufung der Transsexualität als Krankheit für "eigentor-gefährlich" für uns, denn dann kommt keine Krankenkasse mehr für die Kosten auf! Wollt Ihr das riskieren? Und der "besondere Schutz", den jeder Kranke genießt (z.B. bzgl. Diskriminierungsverbot, Integrationsmaßnahmen usw.) wäre auch in Gefahr! Man sollte lediglich dafür plädieren, aus einer "psychischen" Krankheit eine "körperliche" zu machen, denn das würde auch der Behandlungslogik entsprechen!

Offline bea

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- Bei mir wurde weder ein sog. "Haartest" vorgenommen, der angeblich Schizophrenie ausschließen soll,
das geschieht auch eher selten. Sehr selten sogar.
Zitat
noch musste irgendein Arzt oder Psychologe einen Antrag bei der Krankenkasse oder dem MdK auf Beginn der Behandlung stellen!
- Beide (Arzt und Psychologe) sagten mir, dass der Beginn der medizinischen Behandlung allein Entscheidungssache des Arztes ist und wenn dieser das "Krankheitsbild" Transsexualität feststellt und die Behandlung für medizinisch notwendig hält, geht es ganz einfach los und Punkt.

Leider ist das nicht mehr ganz so - seit Ende 2005 gibt es ein Urteil des BSG zum Off Label Use, und es ist recht eindeutig, dass die Hormone für die HRT darunter fallen. Wenn ein Arzt verschreibt, kann er *theoretisch* in Regress genommen werden. Passieren tut das wohl vor allem bei den Ärzten, die häufig  Hormone verschreiben, z.B. dem Arzt, dem ich den unkomplizierten Beginn meiner HRT verdanke.
Zitat
Auch ist ein vorgezogener Alltagstest nicht zwingend erforderlich, wenn dieser eine psychische Härte für den Patienten darstellt und der Arzt auch ansonsten von der Krankheit überzeugt ist.
Das kann man mit gutem Willen sogar aus den SOCs des DGSF herauslesen. Es muss halt begründet sein.
Zitat
- Auch stimmt es nicht, dass die HT Voraussetzung für die Vornamensänderung ist. Diese kann bei psychologischer Einschätzung auch ohne Hormongabe erfolgen.
In der Tat eine Ammenmär, aber bei konservativen Gerichten und Gutachtern trotzdem gelegentlich Praxis.
Zitat
P.S.: Deshalb halte ich auch die "Proteste" gegen die Einstufung der Transsexualität als Krankheit für "eigentor-gefährlich" für uns,
dagegen protestiert doch niemand. Es geht um die Frage, ob TS eine *Geistes*-Krankheit ist und ob dieses Bild lebenslänglich besteht. Das BSG hebt in seinem Urteil zur Kostenübernahmepflicht der Kassen ja auch ausdrücklich nicht auf diese Diagnose als solche ab, sondern auf den daraus im Einzelfall entstehenden Leidensdruck (und daraus folgt dann leider auch die Vorstellung von der langen psychotherapeutischen Vorlaufzeit...)

Den Kassen ist das alles sehr wohl bewusst; Herr Pichlo schreibt das in folgendem Artikel ganz klar: http://www.kup.at/kup/pdf/8643.pdf

Die momentane Tendenz im Rahmen der Diskussion zum DSM-V geht übrigens in Richtung eines temporären psychiatrisch relevanten Leidens.
« Letzte Änderung: 18.Mai 2010, 00:51 von bea »
Anfang 2005: Versuch, als Crossdresser klarzukommen
Oktober 2005: HRT
Anfang 2006: weitgehend kompletter sozialer Wechsel
2007: VÄ, Orchiektomie und offizieller Beginn der Nadelepi
2008: GA-OP bei Dr. Rossi

Gert-in-trans

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Hallo Bea,
Das ist mal eine wirklich sachliche und fundierte wissenschaftliche Antwort - super!
Und - ich gehe mit Dir völlig konform, wobei ich noch zu bedenken geben möchte, dass:
1. die Arzthaftung beim Verschreiben rezeptpflichtiger Medikamente ohne Krankheitsgrund nicht nur für die Transsexualität greift, sondern generell - und die Kassen (bzw. MdK) haben bei allen Krankheiten bei "Ungereimtheiten" ein Überprüfungsrecht - also, eigentlich nichts Neues und nicht speziell Transsexualitätsbezogenes - meiner Meinung nach und so viel ich vom Arzthaftungsrecht verstehe... - ich bin kein Experte!
2. Aber bitte, liebe Bea, zitiere mich komplett - Bzgl. Krankheitseinstufung habe ich letztlich genau dafür plädiert, was Du auch als Tendenz aufzeigst - nämlich die Entschärfung der psychischen Einstufung oder Umänderung in ein körperliches Leiden - bei Manchen wird aber generell gegen die "Einstufung der Transsexualität" als Krankheit gewettert und nur das halte ich für problematisch und finanziell gefährlich.
Ich danke Dir für Deine konstruktiven Hinweise und freue mich auf weitere angeregte Diskussionen.
Alles Gute für Dich
wünscht Gerti.

Offline BadHairDays

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Als mir jemand vor kurzem die Frage stellte, ob ich TS für eine Krankheit halte, kam ich spontan auf; "Nein, für eine Behinderung".

Offline Kimber

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Man sollte lediglich dafür plädieren, aus einer "psychischen" Krankheit eine "körperliche" zu machen, denn das würde auch der Behandlungslogik entsprechen!

Das ist genau das, wofür viele plädieren; raus aus der Schmuddelecke der Gestörten, rein in die mittlerweile viel mehr akzeptierte Ecke der körperlichen...ich sage mal...Krankheit, Behinderung, was auch immer. Über den genauen Begriff nachzudenken, habe ich gerade keine Lust.

Die momentane Tendenz im Rahmen der Diskussion zum DSM-V geht übrigens in Richtung eines temporären psychiatrisch relevanten Leidens.

Das ´temporär´ lässt hoffen, denn immerhin kann man auch als transsexuelle Frau Spass am Leben haben und irgendwann mit der Thematik abschliessen.
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Übrigens, ob und wie man sich um einige Dinge in den SOCs herumdrückt, hängt wohl von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Psycho, vom Arzt und einem selbst, welchen Eindruck man vermittelt und wie weit man schon auf dem eigenem Weg ist.
Einen Standardweg gibt es mMn nur auf dem Papier.

Gert-in-trans

  • Gast
Ganz klar ist Transsexualität eine Behinderung - gut ausgedrückt von BadHairdays.
Jeder Behinderte wurde und ist ja aber meist auf Grund einer Krankheit behindert - und Transsexualität ist tatsächlich eine Behinderung (nämlich nicht gesund wie alle Anderen leben zu können), die auf Krankheit (nämlich Zerstörung der Psyche/Seele durch den falschen Körper) beruht.
Und jeder Behinderte wird ja auch deshalb auf Kassenkosten behandelt.
So könnte man m.E. das Ganze mal auf den Punkt bringen.

Tschüss, liebe Freundinnen und Freunde.