Ich wiederhole jetzt mal nicht, was die anderen schon gesagt haben, denn ich sehe es ähnlich.
Also mich interessiert für meinen Vortrag vor allem, ob und welche Vorurteile es gegenüber Transsexuellen gibt.
Die Leute kennen zunächst einmal Travestie-Künstler und vielleicht noch in übersteigerter Weise als Frauen verkleidete Männer aus Fernsehberichten über den CSD oder ähnliche Veranstaltungen. Inzwischen bessert sich das wahrscheinlich.
Das Problem dabei ist: Auf der Straße sieht man weder Transsexuelle noch normale Transvestiten, weil die ja nicht als solche erkennbar sind, sondern für ganz normale Exemplare des Zielgeschlechts gehalten werden. Dadurch können sich die Vorurteile auch schlecht abbauen.
Oder ist Deutschland offener als ich denke?
Genaugenommen können wir das nicht beantworten, weil wir nicht wissen, was Du denkst. Wenn man Lebensgeschichten von Transsexuellen aus früherer Zeit liest, dann ist es inzwischen deutlich besser geworden. Vor 10 Jahren hätte ich mich noch nicht getraut, das jemandem zu erzählen.
Literaturhinweis: Udo Rauchfleisch: Transsexualität - Transidentität. ISBN 978-3-325-46260-7. S135ff.
Gibt es bestimmte Bereiche im Leben (privat oder auf Arbeit etc) wo man mehr Schwierigkeiten hat oder kann man das schlecht verallgemeinern?
Das erleben verschiedene Leute auch ganz verschieden. Es gibt sowohl auf Arbeit als auch privat solche und solche Leute. Verallgemeinern würde ich, daß es für Transfrauen mehr Probleme mit Männern als mit Frauen gibt. Ich kenne mehrere Männer, die mit meiner Transsexualität nicht zurechtkommen, aber keine Frauen. Ähnlich habe ich es von anderen Betroffenen gehört.
Das Problem der Männer, die mit mir Schwierigkeiten haben, sind echte Gefühlszustände (Ekel, Abscheu). Es ist keine Frage der Einstellung mir gegenüber oder der Vorurteile. Die gruseln sich wirklich und können das also auch nicht einfach so ändern. Das Problem nimmt mit zunehmender optischer Annäherung an das Zielgeschlecht zu.
Gibt es Menschen, die mehr Vorurteile haben? (Also im Vergleich Männer oder Frauen, Kinder oder Erwachsene, Alte oder Junge...)
Vorurteile über Transsexuelle würde ich deutlich von Schwierigkeiten mit bzw. Abscheu gegen Transsexuelle unterscheiden. Vorurteile haben alle, Abneigungen nur wenige.
ein paar Zahlen von mir:
- Privat: 1x echte Abscheu (sehr naher Verwandter), einige zurückhaltend,
die überwiegende Mehrzahl positiv
- Arbeit: 2x echte Abscheu, viele Männer ignorierend, aber auch positive
Kommentare ("Ich arbeite sowieso lieber mit Frauen zusammen.",
"Ich hatte schon davon gehört und ich wußte wirklich nicht, was mich
erwartet, aber ich muß sagen, ich bin positiv überrascht."), Frauen
durchweg positiv, interessiert, zum Teil anerkennend ("mutig")
- Wohnumfeld: alles positiv, Kontakt zu den Nachbarn ist besser
geworden
Wie lange dauerte es, bis ihr eure Transsexualität selber aktzeptieren konntet bzw. bis ihr euch jemandem anvertraut habt?
Bei mir hat es ca. 35 Jahre gedauert, wenn man von dem Zeitpunkt ausgeht, wo ich mich nach einem Mädchennamen für mich umgesehen habe, bis zu dem Zeitpunkt, wo ich angefangen habe, mich ernsthaft mit Transsexualität zu beschäftigen.
Wirklich anvertraut habe ich mich erst dann jemanden, nachdem ich mir alle Horrorszenarien (Arbeitsplatzverlust, kompletter Ausstoß aus der Familie und dem sozialen Umfeld) im Detail ausgemalt hatte und erkennen mußte, daß alle diese Dinge das geringere Übel sind. Allerdings muß ich sagen, daß es einige Leute schon von allein gemerkt hatten, bevor ich etwas gesagt habe. Nichts von dem ganzen Horror ist eingetreten.
Vom Beginn der Beschäftigung mit Transsexualität (also wo ich angefangen habe, Informationen zu suchen) bis zum Eingeständnis der eigenen Transsexualität war es etwa ein halbes Jahr. Da fand ich mich in den Beschreibungen anderer Betroffener und in den wissenschaftlichen Berichten einfach zu sehr wieder.
Wenn sich hier eie Diskussion entwickeln sollte, würde ich die Erfahrungen gerne in meinem Vortrag verwenden, ohne jedoch irgendwelche privaten Daten überhaupt abzufragen. Das Ganze ist also komplett anonymisiert.
Dieser Thread ist ja offen im Internet einsehbar. Möglicherweise würden manche (ich eingeschlossen) manche Dinge etwas deutlicher schreiben, wenn der Thread im geschützten Bereich läge, wo nur angemeldete Benutzer mitlesen können.
Was mir sonst noch so einfällt:
In den Medienberichten wird die Bedeutung der geschlechtsangleichenden Operation maßlos übertrieben. Das Geschlecht sitzt im Kopf, nicht zwischen den Beinen. Viel wichtiger als diese Operation ist das Verhalten. Ebenfalls wichtig ist ein ausreichendes Passing, d.h. von den Leuten als zum Zielgeschlecht gehörend wahrgenommen zu werden.
Zum Verhalten will ich noch etwas ergänzen. Meine Erfahrung ist so, daß sich unmittelbar, nachdem ich mich vor mir selber zu meiner Transsexualität bekannt hatte, das Verhalten meiner Mitmenschen mir gegenüber deutlich verändert hat. Die Leute waren viel freundlicher, und Frauen haben in meiner Gegenwart Dinge gesagt, die sie gegenüber Männern nicht sagen würden. Da wußte außer mir noch niemand etwas.
Ich habe mal einen Vortrag gehört, den ein Transmann hielt. Er hatte eine tiefe, männliche Stimme und ein völlig männliches Aussehen. Aber die Gestik und Mimik, das nonverbale Verhalten, war weiblich. Das wirkte ganz komisch.
Für mich ist das wesentliche Symptom der Transsexualität nicht der Wunsch, im Gegengeschlecht zu leben, sondern das Gefühl des Dazugehörens bzw. Nicht-Dazugehörens. Des Dazugehörens zu einem bestimmten Geschlecht. Zur Menschheit überhaupt (manche schreiben, sie fühlten sich wie Außerirdische). Zur Familie. Zur Kindergartengruppe und später Schulklasse. Gehöre ich da wirklich dazu oder stehe ich eigentlich nur dabei? Die Betroffenen sind auch nicht einfach körperlich komplett das eine und seelisch komplett das andere Geschlecht. AnniBu, wenn Du Dich hier durch die Beiträge wühlst, wist Du irgendwo auf die Gollum-Skala für das Verhältnis von männlichen und weiblichen Anteilen im eigenen Gehirn stoßen. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, es gibt einen fließenden Übergang von männlich zu weiblich. Mancher findet sich da irgendwo in der Mitte wieder und kann sich weder so richtig als zu den Frauen gehörig, noch als so richtig zu den Männern gehörig fühlen. Solche Leute haben es nocht schwerer.
Mihi