Hi 19Nicole62,
erst einmal auch von mir ein ganz liebes Willkommen in diesem Forum. Dein Eingangsbeitrag hier enthielt eine ganze Menge an Fragen. Auf einige haben Dir ja schon Forumsmitglieder geantwortet.
Ich möchte Dir ganz perönlich auf dies hier:
Das Problem ist, dass mein Kind für uns alle bis vor ca. 3 Jahren ein "typisches" Mädchen war, heißt also, es gab, zumindest offensichtlich, keine Anzeichen für eine Transidentität. Das würde es wahrscheinlich leichter machen. Das Verhalten, das Denken usw. ist auch immer noch sehr weiblich. Mein Kind erklärt sein Empfinden damit, dass es sich in seinem Körper nicht wohlfühlt. Das kann ich durchaus nachvollziehen.
antworten.
Als ich (heute fast 50 Jahre alt) vor vier Jahren meiner Mutti und meinem Vati endlich sagen konnte, wollte und musste, wer ich bin und was mit mir los war, lag sozusagen schon ein Leben" hinter mir. Das Wort "Leben" habe ich bewusst in Gänsefüßchen gesetzt, weil ich tatsächlich nur nach äußeren Erwartungen folgend funktioniert habe und ich bis zu diesem Zeitpunkt meiner Offenbarung einfach meinen Eltern gegenüber nicht die Kraft und den Mut hatte, die Wahrheit zu sagen. Ich habe meiner Umwelt sehr lange und einigermaßen erfolgreich etwas vorgespielt, was ich nicht wirklich war. Dabei gab es schon im frühen Kindesalter (eta 5, 6 Jahre) oder später, mit beginnender Pubertät (12, 13 Jahre) schon immer mal einen Versuch, auf mein Problem aufmerksam zu machen - unbenommen von vielen Dingen, die im vermeintlichen Alltag stattfanden, aber nicht auffällig genug waren. Immer wieder startete ich ganz zaghafte und vorsichtige Versuche, anzudeuten, dass ich eben nicht der "Junge", der "Stammhalter" etc. war ... aber ich hatte aus was weiß ich für Gründen einfach nicht die Eindeutigkeit oder die Kraft, meinen Eltern das zu sagen, was in mir so noch unausgegoren schwebte. Andererseits hatte (und habe - auch heute noch!) meine Eltern so lieb und achtete sie als Autoritätspersonen, als dass ich fähig war, die von mir so gebrauchte und gesuchte Geborgenheit und Anerkennung aufs Spiel zu setzen. Folgerichtig begann ich - anfangs mehr intuitiv, später berechnend - ihnen das vozuspielen, was in meinem Sinne nützlich war, um ihre Anerkennung, ihr Gehör, ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung zu erhalten.
Klingt vielleicht doof ... aber aus heutiger Sicht ist es das nicht. Gerade, wenn wir Menschen besonderen Beistand brauchen und noch nicht (weil wir noch Kind sind) in der Lage sind, Besonderheiten zu artikulieren, verlegen wir uns häufig auf Theaterspiel. Kann es sein, dass zu solchem Verhalten auch beiträgt, dass wir uns die uns Nächsten nicht enttäuschen wollen, dass wir ihnen Schmerzen und Leiden ersparen wollen? Für mich war es bestimmt unausgesprochen so ...
Als ich dann meinen Eltern endlich sagte, wie ich schon so lange empfand, war es für die Beiden eine ähnliche Überraschung wie für Dich. Vermeintlich wurde aus ihrem "sohn" nun eine Tochter. Dabei war ich in meinem Innersten schon immer ein Mädel, nur habe ich mich jahrzehntelang äußeren Meinungen gebeugt. Erst als ich nimmer konnte, mit dem bisherigen Leben auch abschließen wollte, habe ich die Wahrheit nach außen getragen. Für mich selber war es einfach notwendig und gut so.
Dass fast niemand bemerkt haben wollte, das mit mir etwas nicht stimmte, ist sicherlich zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass ich mich lange Zeit bemühte, den äußeren Erwartungen gerecht zu werden und dabei die Erklärung für mein wirkliches Befinden und Fühlen verdrängte. So etwas ist sicherlich nicht typisch, aber es kommt auch nicht selten vor.
Es ist auch so, dass ich seinerzeit, als ich mich nach Antworten auf die Fragen in meinem Innersten begab, nicht an die entsprechenden Informationen kam. Dies hat sicherlich auch, neben der Angst, der Scham und der Unsicherheit auch dazu bei getragen, dass ich viele Jahre lang die Rolle des "mannes", des "sohnes" spielte und dabei auch ein Dopelleben führte.
Deswegen, liebe Nicole, möchte ich Dir sagen: Auch wenn Dein Sohn so vermeintlich lange Zeit "typische" weibliche Verhaltensweisen nach außen zeigte, muss dies kein Grund sein, ihm die wirkliche Empfindung absprechen zu müssen. Es kann durchaus also sein, dass er den erwünschten Verhaltensmustern entsprach, um Euch nicht weh zu tun - oder weil er unsicher war - oder, oder ...
Das einzig Wichtige ist - und da sehe ich in Deinen ersten Zeilen so viel an Güte und Liebe - dass Du Deinem Sohn hilfst, in dieser schwierigne Zeit der Offenbarung und der Angleichung zurseite zu stehen. Das finde ich so großartig und ich wünsche Euch, dass Ihr Beide auch Glück und Erfüllung finden werdet.
Was den Namen betrifft ... nun ja ... als Betroffene durchzuckt es mich auch im Familienkreis immer wieder, wenn mein alter Name oder das alte "er" oder "sein" formuliert wird. Aber mittlerweile weiß ich, dass sich meine Mutti und mein Vati ganz ehrlich bemühen, mich als ihre Tochter anzusehen und dass diese Nennungen echt immer weniger werden. Erst vor kurzem war ich mit meinen Eltern in meiner ehemaligen Heimatstadt unterwegs und als meine Mutter eine ehemalige Arbeitskollegin traf, stellte sie mich ihr ganz einfach als ihre Tochter "S..." vor. Ohne Anstrengung, ohne Gekünsteltsein. Ich bin mir sicher, dass das auch bei Euch so sein kann und Du wirst Deinem Kind, Deinem Sohn genauso wie Dir selbst sehr schnell zur Normalität verhelfen, wenn Du den früheren Namen so Schritt für Schritt nicht mehr verwendest. Übrigens - die verbale Brücke - "mein Kind" - habe ich für mich selber als so lieb und aufmerksam empfunden ... und ich habe auch dadurch begriffen, dass es für meine Mutti so verflixt schwer war, meinen alten männlichen Namen nicht mehr ständig verwenden und meinen richtigen weiblichen Namen noch nicht ständig benutzen zu können.
Ich bin mir sicher, dass auch Ihr - Du und Dein Sohn - über die Zeit damit keine Probleme mehr haben werdet.
friedliche liebe Grüße
tashina